
Prof. Dr.-Ing. Wolfgang Lehner ist Direktor des Instituts für Systemarchitektur an der Fakultät Informatik der Technischen Universität Dresden. Foto: TU Dresden
Zahlreiche Forschungsprojekte untersuchen Lösungsvorschläge, die von effizienten Stromspeichern bis hin zur bewussten Stromnutzung durch die Endkunden reichen. Der Lehrstuhl Datenbanken an der Fakultät Informatik der Technischen Universität Dresden, den ich leite, ist an einem solchen Forschungsprojekt beteiligt – dem sogenannten MIRABEL Projekt.
MIRABEL steht für Micro-Request-Based Aggregation, Forecasting and Scheduling of Energy Demand, Supply and Distribution – zu Deutsch: anforderungsbasierte Optimierung der Energiebalancierung bei Erzeugung, Verbrauch und Verteilung.
Acht Partner aus fünf verschiedenen EU-Ländern erforschen, wie Endkunden dazu beitragen können, erneuerbare Energien besser zu nutzen. Außerdem untersuchen sie, wie sich durch flexible Nutzung und intelligente Steuerung der Verteilung die Strompreise optimieren lassen.
Klimawandel und steigende Strompreise erfordern mehr und mehr die Nutzung erneuerbarer Energien. Im Gegensatz zu herkömmlichen Kraftwerken, die je nach Strombedarf nahezu beliebig zu- oder abgeschaltet werden können, sind sie stark von äußeren Faktoren, insbesondere dem Wetter, abhängig.

Wie viel Strom eine Solaranlage produziert, hängt von vielen Faktoren ab. Sonneneinfallswinkel, Bewölkung und Jahreszeit gehören dazu.
So schwankt die Produktionsmenge einer Solaranlage je nach Sonneneinfallswinkel, Bewölkung und Jahreszeit. Eine solche Anlage produziert möglicherweise gerade dann zu wenig, wenn alle Strom benötigen – zum Beispiel in den Abendstunden.
Dies stellt die Energieversorger vor die große Herausforderung, die erneuerbare Energie möglichst effizient zu nutzen und in Gestalt des sogenannten Öko- oder Grünstroms an ihre Kunden weiterzugeben. Momentan bieten die Stromversorger verschiedene feste Tarife an. Der Kunde wählt einen Tarif aus. Lieferung und Abrechnung des Stromes erfolgen (üblicherweise jährlich) je nach Verbrauch.
Die Kunden nutzen den Strom, wann sie ihn gerade brauchen. Der Stromversorger muss sicherstellen, dass zu jeder Zeit genug Strom zur Verfügung steht. Reichen erneuerbare Energien nicht aus, müssen zusätzliche konventionelle Energiequellen „zugeschaltet“ werden.
Interessant ist jedoch: Der Energieverbrauch zahlreicher Geräte unterliegt einer gewissen Flexibilität, und die Verbraucher sind oftmals gewillt, sie erst dann zu nutzen, wenn der Strompreis niedrig ist. Als Paradebeispiel für solch einen flexiblen Energiebedarf gilt das Elektroauto.
Die Grafik spiegelt folgendes Szenario wider: Der Kunde kommt abends um 20:00 Uhr nach Hause, schließt sein Elektroauto an die Steckdose und möchte am nächsten Tag um 8:00 Uhr wieder losfahren. Nehmen wir an, der Ladevorgang dauert zwei Stunden, dann unterliegt der Energiebedarf einer gewissen Flexibilität.
In einer sogenannten FlexOffer (= “Flexibilitäts-Angebot“) gibt der Kunde sein Energieprofil an: die frühestmögliche Startzeit für den Ladevorgang – in unserem Beispiel 20:00 Uhr – und der späteste Zeitpunkt – hier 6:00 Uhr, damit das Auto in zwei Stunden bis 8:00 Uhr geladen ist. Optional kann der Kunde auch einen maximalen Preis angeben, den er für die Energie zahlen will.
Das Konzept der FlexOffer ermöglicht eine flexiblere und damit einhergehend effizientere Ausnutzung erneuerbarer Energien. Für unser Beispiel bedeutet dies: Das Elektroauto wird genau dann geladen, wenn viel Energie zur Verfügung steht – zum Beispiel, wenn gerade der Wind weht. Damit wird Energie genau dann genutzt, wenn sie auftritt.
Auf diese Weise lassen sich Energieverluste vermeiden, die unter anderem beim Speichern von Energie entstehen können. Durch die intelligente Nutzung erneuerbarer Energien werden somit die Kosten sowohl für den Energieversorger als auch den Endkunden gesenkt. Das MIRABEL System stellt sicher, dass die Stromzufuhr innerhalb der angegebenen Schranken stattfindet.
Vorrausetzung dafür ist eine automatische Kommunikation zwischen Stromversorger und Kunde. Intelligente Stromzähler, so genannte Smart Meter (Foto links), werden benötigt, die möglichst automatisch FlexOffer erstellen, versenden und zur gegebenen Zeit die Stromversorgung des Gerätes aktivieren.
Nicht nur für Elektroautos bietet sich FlexOffer an. Andere Anwendungsmöglichkeiten sind Waschmaschinen, Wärmepumpen oder sogar Produktionspläne in der Industrie. Den Stromversorger oder Energiehändler stellt das vor große Herausforderungen.
Dieser sammelt alle FlexOffer seiner Kunden, muss eine Art Ablaufplan erstellen und feststellen, für welchen Kunden es zu welchem Zeitpunkt am günstigsten ist, die angeforderte Menge an Energie zu liefern. Damit ergeben sich interessante Forschungsfragen wie diese, mit denen sich das MIRABEL Projekt beschäftigt:
- Wie können die Unmengen an entstehenden Smart Meter- und FlexOffer-Daten effizient verarbeitet und analysiert werden?
- Wie können erneuerbare Energien und nicht-flexibler Verbrauch möglichst effizient und genau vorhergesagt werden?
- Wie sieht eine effiziente, computergestützte Lösung für eine Verteilung aus, welche die jeweiligen Bedürfnisse berücksichtigt, Lastspitzen reduziert und erneuerbare Energien optimal ausschöpft?
Für diese und ähnliche Fragen haben die Partner im MIRABEL Projekt Lösungen entwickelt. Reale Energiedaten, die Energieversorger aus Deutschland und Griechenland bereitstellten, ermöglichten erste Simulationen und die Bewertung von Nutzbarkeit sowie Effizienz. Darauf aufbauend laufen auf der einen Seite bereits Standardisierungsbemühungen, um die Technologie einem praxistauglichen Einsatz zu erschließen.
Auf der anderen Seite lieferte das Projekt bereits Ideen für weitere Forschungsprojekte. Diese beiden Aspekte – Praxistauglichkeit und weitere Forschung – stellen sicher, dass MIRABEL in Zukunft einen gewichtigen Beitrag liefern wird, erneuerbare Energien intelligent zu nutzen und eine nachhaltige Energiewirtschaft zu befördern.